18 | Cna Basodino – Peccia

Gehörnte Überraschung

Anspruchsvolle Etappe heute im hintersten Valle Maggia. Wir verlassen die Hütte nach einer bewegten Nacht. Die jungen Hüttenbetreuer scheinen eine feuchtfröhliche Nacht hinter sich zu haben, einer döst mit einem Bier in der Hand und das Handy in der anderen auf dem steinigen Aussensitzplatz vor sich hin.

Angesichts des geplanten steilen Anstieges ziehen wir zum Aufwärmen die geteerte Strasse vorbei am Kraftwerk Robiei vor. Dani erledigt beim Gehen die Angelegenheiten ihrer verstreuten Familienmitglieder solange noch Empfang da ist. Dann geht’s hoch, hoch und nochmals hoch. Der Weg ist markiert, aber man merkt, dass er nicht viel begangen wird. Wir gewinnen schnell an Höhe, gut so, schlussendlich müssen wir die Bocchetta di Forba auf 2700m erreichen.

Wir müssen viel Bein- und Armarbeit leisten um über den unzähligen Steinstufen zu kommen, aber nach etwas mehr als zwei Stunden kommen wir beim Sattel. Weit unten ist noch unsere Basodinohütte ganz klein zu sehen, quer drüben verweilen vier grosse Steinböcke auf einem Schneefeld. Zeit für Dani’s Never-Ending-Cake und einige Früchte die ich schon länger mitschleppe.

Auf dieser Seite ist der Abstieg etwas weniger steil, so springen wir von Stein zu Stein fast wie das gerade bestaunte Steinwild. Peccia, unser Etappenziel, steht im Talkessel ca. 1500m tiefer, nun gilt’s den Knien zuliebe einen schonende Gangart einzuschalten. Bei der unbewartete Capanna Poncione di Braga essen wir zu Mittag. Nachdem die Bremsscheiben etwas abgekühlt sind, steigen wir weiter runter.

Lautes Gebimmel lässt die Wanderleiterohren aufhorchen, aufgepasst, nicht dass wir auf einmal vor einer Mutterkuh stehen. Und Tatsächlich glotzt uns plötzlich hinter einem grossen Fels am Wegrand ein breitgehörntes schottisches Rind an, wenig daneben ein kleines Kalb. Nach dem ersten Schreck machen wir einen weiten Bogen um die ganze nordländische Herde und laufen uns selber ins abseits. Erst eine Cross-Country Einlage bring uns durch hohes Gestrüpp wieder auf dem richtigen Weg. Etwas erleichtert fange ich aber eine gelbe Karte von meiner Begleiterin, harter Entscheid aber man konnte sie geben.

Der Weg geht immer noch steil runter, die Bremsen glühen und die Stossdämpfer sind bei jedem Schritt am Anschlag. Endlich erreichen wir San Carlo, wo uns ein Postauto so anlächelt, dass wir nicht widerstehen können.

In Sornico finden wir ein kleines Albergo und nicht weit entfernt ein nettes Laden und ein gutes Restaurant, wo unser Tag abklingt.

Meine Etappe:

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17 | All’Acqua – Cna Basodino

Steinböcke am Cristallinapass

Wir überzeugen die Chefin, dass ein Morgenessen um sieben kein Delikt ist und geniessen es um uns für die lange Etappe zu stärken. Heute stehen 20km und 1300hm auf dem Programm, der Weg führt uns anfänglich durch die dicht bewaldete Talflanke an einigen Alpen vorbei. An der Tür einer Holzhütte hängt ein BH, ob es sich um das Freudehaus Vom Val Bedretto will ich gar nicht ausfinden.

Noch auf dem Weg organisiert Dani, meine neue Wegbegleiterin, eine Übernachtung für Mittwoch beim Rustico einer Tante in Sonogno, im oberen Val Verzasca. Sie koordiniert auch die Logistik mit Alessandro und Corrado, sodass ein Risotto schon fast auf sicher ist.

Die Alp Cristallina ist nach zwei Stunden ein guter Ort für eine Pause. Da zaubert Dani eine Rüeblitorte aus dem Rucksack, purer Luxus auf meinem Weg. Gestärkt nehmen wir die nächsten Höhenmeter unter die Füssen und tauschen uns aus über die am Wegesrandes auftretende Alpenflora.

Romano, ein wandernder Walliser, kommt uns entgegen. Er ist vor einigen Tagen aus dem Binntal gestartet, ist zuerst nach Italien und jetzt auf dem Rückweg. Er ist begeistert vom Alleinwandern, Meditation tagsüber und Austausch am Abend in der Hütte. Gleichgesinnte unterwegs?

Die riesige Cristallina-Hütte taucht am Horizont auf genau richtig zu Mittagszeit. Der Hüttengehilfe ist flink und verkauft uns eine Suppe und ein Lachsfilet (auf 2500m !?). Hier ist wie auf einem Ryanair-Flug, bei jeder Gelegenheit wird versucht etwas zu verkaufen. Ein Stück Kuchen, ein Bier, etwas Wassermelone oder … ein T-Shirt mit passendem Stirnband ist gerade auf Promotion.

Wir steigen ohne neuen T-Shirt Richtung Basodino-Hütte runter, vorbei am Lago Sfundau, ein Stausee ohne Staumauer. Auf einem herausragender Felshorn, machen wir uns, unter strenger Beobachtung von drei Steinböcken, wieder hinter Danis Kuchen. Unser Blick öffnet sich auf dem Basodino Gletscher und mehreren gestauten Seen der örtlichen Kraftwerbetriebe. Auch hier wie im Berner Oberland ist diese Art der Stromproduktion mit Staumauern, Seilbahnen und Hochspannungsleitung omnipräsent.

Mehrere Markierungen weisen auf unsere Hütte hin, die Gehzeiten sind aber etwas inkongruent, auf jedem Fall war die “Marketingabteilung” mit dem Farbpinsel rege aktiv. Wir verzichten trotz “Reifenwechsel” von Dani auf die geteerte Strasse und schlagen den Wanderweg ein. Dieser führt uns an einer steile Flanke und genau da unten taucht endlich nach über acht Stunden unsere Hütte, direkt unter der Seilbahn von Robiei.

Wir richten uns unter mystischer Musikbegleitung aus der Stereoanlage im Zweierzimmer ein und freuen uns auf die Polenta e costine.

Meine Etappe:

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16 | Ulrichen – All’Acqua

Steinadler und starke PS

Ich verlasse meine Unterkunft in Ulrichen und laufe dem alten militärischen Flugplatz entlang Richtung Nufenen. Der Weg, welcher das wilde Ägenatal hinaufsteigt, ist breit und zum Teil gepflastert. Sonst ist meine Wanderung eher langweilig, da ich immer in unmittelbarer Nähe der Passstrasse laufe.

Omnipräsent sind die hohen Masten der Hochspannungsleitungen, Hauptachsen zwischen dem Wallis und Italien. Eine kleine Hängebrücke führt mich auf die andere Talseite, wo noch etliche Lawinenkegel in den Seitentäler liegen. Hier pfeifen die Murmeltiere nicht mehr, wenn ich in die Gegend komme, sie rennen einfach weg. Vielleicht hat sich rumgesprochen, dass ich ungefährlich bin.

Der Weg schmückt sich mit Blumen (Alpendost), im Hintergrund drehen vier grosse Windräder auf der Krete am Horizont. Ich erreiche Ladstafel mit seiner schönen mittelalterlichen Brücke, ab da muss ich wegen Felssturzgefahr auf der Passstrasse weiter. Am heutigen Sonntag lassen die Töff- und Sportwagenfahrer ihre Boliden hinauf dröhnen, was lediglich für sie ein Spass ist.

Nach vier Stunden bin ich auf der Wasserscheide und gleichzeitig Sprachgrenze. Ich lasse mich auf einem Stein nieder und ruhe mich aus. Im Blickfeld tauchen plötzlich zwei Steinadler oben am Berg. Sie drehen ihre Erkundungsrunden und ich schaue das Spektakel mit dem Feldstecher an.

Die Val Bedretto liegt an meinen Füssen und bald habe ich die Quelle des Flusses Ticino erreicht, wo ich mein Mittagessen beim Gedenkstein einnehme. Meine vierte Quelle, nach Rhein, Reuss und Rhone habe ich den Poker geschafft.

Mein km-Zähler zeigt bereits über 18 an und meine Beine spüren jeden Einzelnen, Zeit anzukommen! Im Albergo all‘Acqua niste ich mich ein und geniesse bei Kaffee und Kuchen die beiden süditalienischen Kellner, bei ihrem vermutlich ersten Arbeitstag, über Menü und Preise diskutieren.

Heute erreichen mich zum Nachtessen Corrado und Daniela, sie wird mich dann für einige Tage begleiten. Ich freue mich auf etwas Abwechslung.

Meine Etappe:

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15 | Lax – Mühlebach

Alternative gefragt

Alternativprogramm ist heute angesagt, weil man uns die Überquerung nach Belalp heute bei Gewitterprognosen sichtlich nicht empfiehlt.

Als ich gestern schon schlief, hat Ale einen interessanten Suonen-Weg in den Faltprospekten dieser Ferienregion ausfindig gemacht. Nun gilt es diese Variante ins Detail zu studieren. Wir nehmen uns Zeit während draussen die Wolken immer dunkler werden.

Wir steigen mit der Seilbahn wieder ins Tal und verschieben uns bis Lax. Da soll unsere Entdeckungsreise zum Thema Suonen starten. Die Trusera Wasserfuhre (Suone) stammt aus dem Mittelalter und diente damals, wie viele ähnliche Konstruktionen, der Bewässerung von Trockenregionen durch Herbeiführen von Wasser aus den steil herabstürzenden Bäche via horizontale Kanäle an den Talhängen.

Unser Weg fängt zuerst steil an, um die nötige Höhe bei Wasen zu erreichen. Hier startet der Wanderweg entlang der Trusera-Suone. Diese wurde vor 15 Jahren, nach langer Zeit durch einem Gemeinschafstprojekt zu Demonstrationszwecke restauriert und wieder in Betrieb genommen. Eine Gruppe von Freiwilligen setzt sich für den Unterhalt und den Betrieb ein.

Sander hiessen die Arbeiter, die für die Entsandung und den einwandfreien Betrieb dieser Kanälen zuständig waren. Eine solche freiwillige „Sanderin“ treffen wir in Aktion, sie erklärt uns die Probleme, besonders bei unterirdischen Passagen und freut sich an der rege Begehung dieser Wegstrecke. Der Hang ist oberhalb und unterhalb uns sehr steil, der gemütliche Weg folgt aber den Wasserverlauf mit einer kaum wahrnehmbare Steigung.

Bei Mühlebach, das kleine Haufendorf mit dem ältesten Dorfkern der Schweiz in Holzbauweise, endet unser Sounen-Trek und wir überqueren die Rotten (Rhone) auf einer Hängebrücke in beeindruckender und schwindelerregender Höhe.

Hier trennen sich unsere Wege wieder, Ale kehrt mit dem Zug nach Hause und ich werde morgen von Ulrichen den Nufenenpass in Angriff nehmen.

Grauer Tag mit gelungenem Alternativprogramm.

Meine Etappe: