Steinböcke am Cristallinapass
Wir überzeugen die Chefin, dass ein Morgenessen um sieben kein Delikt ist und geniessen es um uns für die lange Etappe zu stärken. Heute stehen 20km und 1300hm auf dem Programm, der Weg führt uns anfänglich durch die dicht bewaldete Talflanke an einigen Alpen vorbei. An der Tür einer Holzhütte hängt ein BH, ob es sich um das Freudehaus Vom Val Bedretto will ich gar nicht ausfinden.
Noch auf dem Weg organisiert Dani, meine neue Wegbegleiterin, eine Übernachtung für Mittwoch beim Rustico einer Tante in Sonogno, im oberen Val Verzasca. Sie koordiniert auch die Logistik mit Alessandro und Corrado, sodass ein Risotto schon fast auf sicher ist.
Die Alp Cristallina ist nach zwei Stunden ein guter Ort für eine Pause. Da zaubert Dani eine Rüeblitorte aus dem Rucksack, purer Luxus auf meinem Weg. Gestärkt nehmen wir die nächsten Höhenmeter unter die Füssen und tauschen uns aus über die am Wegesrandes auftretende Alpenflora.
Romano, ein wandernder Walliser, kommt uns entgegen. Er ist vor einigen Tagen aus dem Binntal gestartet, ist zuerst nach Italien und jetzt auf dem Rückweg. Er ist begeistert vom Alleinwandern, Meditation tagsüber und Austausch am Abend in der Hütte. Gleichgesinnte unterwegs?
Die riesige Cristallina-Hütte taucht am Horizont auf genau richtig zu Mittagszeit. Der Hüttengehilfe ist flink und verkauft uns eine Suppe und ein Lachsfilet (auf 2500m !?). Hier ist wie auf einem Ryanair-Flug, bei jeder Gelegenheit wird versucht etwas zu verkaufen. Ein Stück Kuchen, ein Bier, etwas Wassermelone oder … ein T-Shirt mit passendem Stirnband ist gerade auf Promotion.
Wir steigen ohne neuen T-Shirt Richtung Basodino-Hütte runter, vorbei am Lago Sfundau, ein Stausee ohne Staumauer. Auf einem herausragender Felshorn, machen wir uns, unter strenger Beobachtung von drei Steinböcken, wieder hinter Danis Kuchen. Unser Blick öffnet sich auf dem Basodino Gletscher und mehreren gestauten Seen der örtlichen Kraftwerbetriebe. Auch hier wie im Berner Oberland ist diese Art der Stromproduktion mit Staumauern, Seilbahnen und Hochspannungsleitung omnipräsent.
Mehrere Markierungen weisen auf unsere Hütte hin, die Gehzeiten sind aber etwas inkongruent, auf jedem Fall war die “Marketingabteilung” mit dem Farbpinsel rege aktiv. Wir verzichten trotz “Reifenwechsel” von Dani auf die geteerte Strasse und schlagen den Wanderweg ein. Dieser führt uns an einer steile Flanke und genau da unten taucht endlich nach über acht Stunden unsere Hütte, direkt unter der Seilbahn von Robiei.
Wir richten uns unter mystischer Musikbegleitung aus der Stereoanlage im Zweierzimmer ein und freuen uns auf die Polenta e costine.
Meine Etappe: