Herausfordernd bis am Schluss
Mein letzter Tag fängt mit Kaffee-Sharing mit einem älteren Basler Paar, das noch für einigen Tage im Val Verzasca unterwegs ist. Die Nacht war wegen einem kranken Kind offenbar etwas unruhig, ich bekam gar nichts mit. Es bannt sich schon wieder ein wunderbarer Tag an, obwohl gestern die Wolken den Abendhimmel immer mehr zudeckten und mit Blitz und Donner drohten.
Es ist etwas eigenartig wieder alleine los zuziehen, in den letzten Tage kam ja immer jemand mit, ich bin aber dankbar diese letzte Etappe wieder nur mit mir selbst unterwegs zu sein. Ich verabschiede mich von meinen unbekannten Kumpeln und folge den Weg hoch Richtung Passo di Gagnone, ein kurzer regelmässiger Anstieg, ganz gut zum Aufwärmen. Auf dem Pass erreicht mich die Sonne, ein letzter früher Tagesaufbruch in der Höhe.
Die Val d’Ambra öffnet sich unter meinen Füssen, vorerst mit ganz zahmen Alpweiden. Schnell beginnen aber die steilen Passagen. Wegen den dichten Grasbüscheln, den schulterhohen Farnen, die dichten Erlen und die zahlreichen Alpenrosen ist der Wanderweg kaum sichtbar. Mein Abstieg gleicht eher einem blinden Jungle-Walk, mit den Wanderstöcken taste ich vor jedem Schritt ob überhaupt noch Boden da ist. Hoffentlich stehe ich nicht auf irgendwelches kriechendes Getier. Gelegentlich schimmert ein rotweisses Zeichen durch das Grüne, eine beruhigende und willkommene Bestätigung, dass ich immer noch auf (m)einem Weg bin.
Viele Heidelbeeren laden mich ein, eine zNüni-Pause einzulegen. Der Raubzug hinterlässt Spuren auf meinen Hände und Lippen, die süsse kleinen Früchte schmecken aber hervorragend. Nach etwa 1000 Höhenmeter lege ich bei einer Maiensässhütte eine weitere Pause ein, die Sonne heizt schon stark ein und man spürt die steigende Temperatur. Der Weg geht jetzt durch einen frischen schattigen Buchenwald, um danach die Talseite zu wechseln und wieder in der prallen Sonne zu verlaufen.
Etwas weiter schimmert der halb leere Ambra-Staubecken durch die Äste. Ein Zeichen, dass ich bald in der Leventina ankommen sollte. Wie erhofft erscheint am Wegrand ein Steintisch mit Bänklein unter den Kastanienbäumen, Zeit meine restlichen mitgeschleppten Fressalien aufzubrauchen. Nach knapp vier Stunden stehe ich auf einem Hügel und bestaune die Talsohle der Leventina zwischen Bodio und Pollegio. Autos und Lastwagen rasen der A1 entlang, die Schnellzüge verschwinden im Gotthardbasistunnel.
Ich steige noch weitere 300 Meter bis zum Fluss Ticino runter, die Hitze ist schier unerträglich, aber ich schaffe es noch bis zur Bushaltestelle in Pollegio. Per Autostop und Bahn komme ich nach Bellinzona, wo der Postauto mich nach Chur und weiter nach Hause fährt.
Meine Reise ist zu Ende, ich muss meine Gedanken sammeln, werde es wohl in den nächsten Tage machen.